Exkursion ins mehrsprachige Burgenland, 9.–10. Mai 2025

15.07.2025

Von Amelie Ploner & Maria Katharina Thurner

 

Sprachen sind mehr als bloße Kommunikationsmittel, sie sind Träger von Geschichte, Identität und kulturellem Verständnis. Doch was passiert, wenn eine Sprache im Schatten einer dominanten Mehrheitssprache steht? Dieser Frage ging eine Gruppe von rund zwanzig Studierenden gemeinsam mit zwei Lehrenden im Rahmen einer zweitägigen Exkursion im Mai 2025 nach. Das Ziel war Großwarasdorf (burgenlandkroatisch: Veliki Borištof), ein zentraler Ort der burgenlandkroatischen Minderheit im österreichischen Burgenland – einer Region, in der Sprachenpolitik, kulturelle Selbstbehauptung und Bildungsfragen in einem hochkomplexen Spannungsfeld aufeinandertreffen.

Die Exkursion war Teil der Lehrveranstaltung „Minderheitenforschung“ am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien und verfolgte das Ziel, die Lebensrealität dieser autochthonen Volksgruppe vor Ort zu untersuchen. Durch teilnehmende Beobachtung, Gespräche mit lokalen Akteur*innen und einer kritischen Analyse der institutionellen sowie kulturellen Rahmenbedingungen, sollte ein tieferes Verständnis für die burgenlandkroatische Gegenwartskultur und ihre Herausforderungen gewonnen werden. Besonderes Augenmerk lag auf dem Sprachgebrauch im öffentlichen Raum, dem zweisprachigen Schulwesen sowie dem zivilgesellschaftlichen Engagement lokaler Kulturträger.

Die Vorbereitung der Exkursion bestand aus mehreren zentralen Elementen. Eine einleitende Einheit bereitete die Studierenden auf die Feldforschung vor: Die Ortschaft und wichtige Akteur*innen wurden vorgestellt und die sprach(en)politische Ebene der Exkursion besprochen. Das Burgenlandkroatische ist eine der gesetzlich anerkannten autochthonen Minderheitensprachen gemäß dem österreichischen Volksgruppengesetz von 1976. Trotz dieser formalen Anerkennung ist die Sprache in vielen Lebensbereichen rückläufig, insbesondere unter jungen Generationen. Der Gebrauch der Sprache ist stark kontextabhängig und wird im Alltag häufig von der dominierenden deutschen Amtssprache verdrängt. Initiativen wie zweisprachiger Schulunterricht oder kulturelle Projekte leisten wichtige Arbeit zur Revitalisierung. Gleichzeitig sind strukturelle Benachteiligungen, etwa durch mangelnde finanzielle Förderung oder unzureichende mediale Repräsentation, anhaltend präsent.

Weiters wurden verschiedene Forschungsbereiche im Feld festgelegt und diese unter den Studierenden aufgeteilt; darunter beispielsweise Linguistic Landscaping, Gespräche mit der Kirche oder einer burgenlandkroatischen Schauspielerin. Daran anschließend erfolgte eine frühzeitige Kontaktaufnahme zum Feld, um Gesprächstermine mit den entsprechenden Akteur*innen der besuchten Ortschaft zu vereinbaren. Um einen optimalen und strukturierten Ablauf der Forschung zu gewährleisten, wurden auch Forschungsleitfäden zu den einzelnen Untersuchungsgebieten erstellt, welche die Datensammlung vor Ort erleichtern und planen sollten. Auch wurden dabei gezielt Fragen zu Spracheinstellung, Unterrichtspraxis, Identitätsbildung und kultureller Selbstorganisation gestellt und bereits vorläufig beantwortet.

 

Ablauf der Exkursion: Chronologie und Stationen

Freitag, 9. Mai 2025

Die Exkursion begann in aller Frühe am Wiener Hauptbahnhof: Noch vor dem morgendlichen Pendelandrang versammelte sich unsere Gruppe am Bahnsteig, ausgestattet mit Notizbüchern, Tonaufnahmegeräten und einer gehörigen Portion Neugier. Um kurz nach 7 Uhr morgens setzte sich der Regionalexpress in Bewegung. Die gemeinsame Zugfahrt nach Deutschkreutz bot nicht nur Raum für letzte organisatorische Absprachen, sondern auch eine erste kollektive Einstimmung: Wer würde welche Beobachtungsschwerpunkte übernehmen? Welche Erwartungen hatten wir und wie ließen sich methodische Überlegungen auf das bevorstehende Feld konkret anwenden?

Nach knapp eineinhalb Stunden erreichten wir unser erstes Ziel: den Bahnhof von Deutschkreutz. Von dort aus ging es per Sammeltaxi weiter durch die frühlingserwachende Landschaft des Mittelburgenlands – eine Region, die geprägt ist von Streuobstwiesen, Weingärten und dezentralen Ortschaften. Bereits auf dieser kurzen Fahrt wurde deutlich, wie wenig öffentliche Infrastruktur hier verfügbar ist: Busse fahren nur spärlich, die Wege zwischen den Dörfern sind weit. Doch gerade diese relative Abgeschiedenheit lässt auch Raum für das, was wir untersuchen wollten; die kulturelle Eigenständigkeit abseits urbaner Homogenität.

 

Besuch der zweisprachigen Schule

Nun begann auch schon die erste Station der Reise: Der Besuch der lokalen Mittelschule. Die zweisprachige Neue Mittelschule in Großwarasdorf steht sinnbildlich für die Bemühungen um Erhalt und Pflege der burgenlandkroatischen Sprache im schulischen Kontext. Das denkmalgeschützte Schulgebäude, das einst rund 200 Schüler*innen beherbergte, wird heute lediglich von 70 Kindern besucht. Die baulichen Zustände sind, insbesondere in der kalten Jahreszeit, aufgrund unzureichender Isolation problematisch, was ein deutliches Indiz für die strukturelle Vernachlässigung von Schulen im ländlichen Raum mit Minderheitenschwerpunkt darstellt.

Nach der Ankunft wurden wir von der Schuldirektorin Mag.a Elvira Heisinger freundlich empfangen und konnten schon einiges über die Schule und den zweisprachigen Bildungsweg (burgenlandkroatisch und deutsch) lernen. Anschließend hatten wir die Möglichkeit ganz in das Feld einzutauchen und als stille Beobachtende den Schulalltag mitzuerleben. Wir nahmen am Unterricht in den Fächern Mathematik, Biologie und Kroatisch teil. Die didaktischen Konzepte der Schule stachen dabei besonders hervor: Alle Fächer werden zweisprachig unterrichtet, mit Ausnahme der Sprachfächer selbst. Die Einbettung des Burgenlandkroatischen erfolgt nicht nur im Sprachunterricht, sondern durch gezielte immersive Elemente in anderen Fächern. So ist vorgesehen, dass jede Unterrichtseinheit mit einem burgenlandkroatischen Abschnitt beginnt und mindestens zehn Minuten des Unterrichts in der Minderheitensprache stattfinden.

Die sprachliche Heterogenität der Schüler*innen stellt für den Unterricht eine ganz besondere Herausforderung dar: Rund ein Drittel der Kinder spricht aktiv Burgenlandkroatisch, ein weiteres Drittel lebt in burgenlandkroatisch-sprachigen Ortschaften, jedoch ohne aktive Sprachverwendung und das letzte Drittel hat zu Schulbeginn keinerlei Vorkenntnisse. Der Sprachunterricht ist verpflichtend für alle und erfolgt in binnendifferenzierten Gruppen, was eine enorme Zusatzbelastung für das Lehrpersonal bedeutet, aber ein proaktives Eingehen auf den individuellen Kenntnisstand der Schüler*innen und so auch einen gezielteren und strukturierteren Unterricht ermöglicht.

Ein weiteres zentrales Problem ist der Mangel an geeignetem Unterrichtsmaterial in den Arbeitssprachen. Die Schule hat deshalb eigene Lehrwerke verfasst, darunter ein dreibändiges Portfolio, das sowohl sprachlich als auch inhaltlich auf die Lebenswelt der Kinder zugeschnitten ist. Dieses Engagement ist ein eindrucksvolles Zeugnis für die Selbstermächtigung von Minderheiten im Bildungswesen, stellt aber auch eine weitere Belastung der Arbeitskräfte dar.

 

Mittagessen und Spaziergang durch den Ort

Nach dem Schulbesuch checkten wir wieder in der KUGA ein. Die KUGA, eine Abkürzung für „Kulturna zadruga“ (Kulturvereinigung), fungiert als Veranstaltungsort, Treffpunkt und kulturelles Gedächtnis der burgenlandkroatischen Gemeinschaft und spielt eine enorme und einzigartige Rolle in der Kultur- und Sprachbewahrung.

Das Mittagessen erfolgte im Gasthaus Kuzmich, wo in geselliger Atmosphäre erste Eindrücke reflektiert wurden.

Am Nachmittag begaben wir uns auf einen „gezielten Streifzug“ durch den Ort. Ziel war es, die Sichtbarkeit der burgenlandkroatischen Sprache im öffentlichen Raum zu dokumentieren. Dabei fotografierten und analysierten wir zweisprachige Straßenschilder, Werbeanzeigen, Beschriftungen öffentlicher Gebäude sowie Grabinschriften auf dem Friedhof.

                

Diskussion mit Joško Vlasich

Ein weiterer Höhepunkt der Exkursion folgte mit dem Gespräch mit Joško Vlasich. Vlasich, selbst Burgenlandkroate, ist ein zentraler Akteur der kulturellen Selbstverwaltung der Minderheit. In seinem Vortrag thematisierte er die historische Entwicklung der burgenlandkroatischen Identität, die Herausforderungen aktueller Bildungspolitik, den Verlust von Sprachkompetenz in der jungen Generation sowie die Chancen, die sich durch kulturelle Projekte wie die KUGA ergeben.

In seinem pointierten Vortrag bot Vlasich eine eindrückliche Analyse der gegenwärtigen Lage der burgenlandkroatischen Volksgruppe. Zunächst zeichnete er die historischen Linien nach, von der Einwanderung der Kroat*innen ins heutige Burgenland über die wechselhafte Minderheitenpolitik der Habsburgermonarchie, der Zwischenkriegszeit bis hin zur formellen Anerkennung durch das österreichische Volksgruppengesetz 1976. Trotz dieser gesetzlichen Verankerung, so Vlasich, klaffen Anspruch und Realität weit auseinander.

Besonders nachdrücklich hob er die Diskrepanz zwischen der politischen Rhetorik rund um Mehrsprachigkeit und Diversität und der faktischen Vernachlässigung struktureller Unterstützung hervor. Zwar werde im öffentlichen Diskurs oft die Bedeutung sprachlicher Vielfalt betont, doch mangele es in der konkreten Umsetzung an finanzieller, institutioneller und personeller Ausstattung. Schulstandorte mit brugenlandkroatischem Schwerpunkt würden tendenziell schlechter versorgt, kulturelle Initiativen seien auf unregelmäßige Projektförderung angewiesen und es fehle an langfristigen Perspektiven für die Nachwuchsförderung. Auch die mediale Präsenz der Minderheit sei gering, sie finde entweder gar nicht oder nur in folkloristisch verkürzter Form statt.

Gleichzeitig vermittelte Vlasich kein resigniertes, sondern ein beinahe kämpferisches Bild. Er unterstrich die Widerstandskraft, Kreativität und Anpassungsfähigkeit der burgenlandkroatischen Gemeinschaft. In Projekten wie der KUGA, in selbst organisierten Schulen, Festivals, Radiosendungen oder Theaterprojekten, werde Minderheitenpolitik „von unten“ betrieben, alles jenseits staatlicher Infrastruktur.

Sein Appell an uns als Nachwuchswissenschaftler*innen war klar: Es liege an der nächsten Generation, nicht nur zu dokumentieren, sondern kritisch zu begleiten, zu vernetzen und neue Impulse zu setzen. Forschung dürfe sich nicht auf Beschreibung beschränken, sondern müsse dazu beitragen, Sichtbarkeit zu erzeugen, Diskurse zu verschieben und marginalisierte Stimmen zu stärken. Besonders in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung und wachsender Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Sprachgemeinschaften sei wissenschaftliches Engagement ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Kulturpflege.

 

Abendprogramm und kulturelles Erlebnis

Nach einem gemeinsamen Abendessen versammelten wir uns um 20:00 Uhr erneut in der KUGA zur Teilnahme an der multimedialen Performance Testimonium, in welcher über das Archiv der burgenlandkroatischen Geschichte, Auditorium Maximum, organisiert von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft in Kooperation mit „Novi Glas“ – einem Magazin der burgenlandkroatischen Volksgruppe, berichtet wurde.

Im Zentrum der Performance standen Zeugnisse von Menschen aus der burgenlandkroatischen Gemeinde, deren Lebensgeschichten und Erfahrungen mit Sprachverlust, Marginalisierung und kulturellem Wandel durch Videoaufnahmen vergegenwärtigt wurden. Persönliche Erinnerungen, etwa an die Kindheit im Spannungsfeld zwischen der burgenlandkroatischen Familiensprache und dem deutschsprachig dominierten Schulsystem, wurden in Beziehung gesetzt zu größeren Fragen kollektiver Identität und Zugehörigkeit.

Aus Rücksicht auf uns – eine mehrheitlich deutschsprachige Studierendengruppe – wurde der Vortrag mehrfach durch Übersetzungen ins Deutsche unterbrochen. Diese Praxis war zwar hilfreich für unser Verständnis, warf aber zugleich grundlegende Fragen auf: In welchem Maß dürfen oder sollen wir als Forschende in ein sprachlich und kulturell anderes Feld eindringen? Und welche Effekte entstehen, wenn unsere Perspektive – gewollt oder ungewollt – zum Ausgangspunkt und Zentrum der Kommunikation wird? Die Veranstaltung wirkte lange nach und wurde von vielen Teilnehmenden als bewegender und aufrüttelnder Moment der Exkursion wahrgenommen. Sie verlieh dem Thema eine existenzielle Tiefe, die die vorherigen wissenschaftlichen Gespräche und Beobachtungen auf einer anderen Ebene ergänzte.

Die Übernachtung erfolgte im Schlafsaal der KUGA, was nicht nur logistisch praktisch, sondern auch symbolisch war: Wir lebten für einen Tag mitten im Zentrum der burgenlandkroatischen Kultur.

 

Samstag, 10. Mai 2025

Am Samstagmorgen trafen wir uns zum gemeinsamen Frühstück erneut im Gasthaus Kuzmich. Diese letzte Etappe der Exkursion bot Raum zur Reflexion und zum informellen Austausch über die gewonnenen Eindrücke. Anschließend fuhren wir mit dem Sammeltaxi zurück nach Deutschkreutz und traten mittags die Heimreise an.

 

Fazit und wissenschaftliche Reflexion

Die Exkursion nach Großwarasdorf war nicht nur eine Bereicherung für unser Verständnis von Minderheitenpolitik in Österreich, sondern auch ein eindrückliches Beispiel für gelebte Mehrsprachigkeit und kulturellen Widerstand. Die Begegnungen mit Lehrer*innen, Kulturschaffenden und Einheimischen haben uns gezeigt, wie viel Engagement notwendig ist, um eine bedrohte Sprache und Identität im Alltag lebendig zu halten, wenn staatliche Förderungsmaßnahmen nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden.

Die Kombination aus schulischer Beobachtung, Gespräch mit Expert*innen, dokumentarischer Analyse des Sprachraums und kultureller Veranstaltung schuf ein umfassendes Bild, das sich in keinem Lehrbuch so anschaulich vermitteln ließe. Die Investition in diese Exkursion war daher nicht nur didaktisch wertvoll, sondern auch gesellschaftspolitisch relevant. Sie sollte dokumentiert, erweitert und öffentlich präsentiert werden, um auf die Relevanz von Minderheitenschutz hinzuweisen.

Wir sprechen eine ausdrückliche Hoffnung aus, dass diese wertvolle Begegnung weiterhin durch die Universität Wien ermöglicht wird und so auch die uns folgenden Studierenden, die Möglichkeit haben, derartige Erlebnisse mitzunehmen.